Soziale Frage und Armenfürsorge in der Industrialisierung
Während der Industrialisierung wurde durch verschiedene Innovationen, allen voran die Dampfmaschine und Eisenbahn, die Massenproduktion in Fabriken erstmals ermöglich und die alten Manufakturen abgelöst.Durch den entstehenden ungebremsten Kapitalismus und die sehr ungleiche Ressourcenverteilung innerhalb der Gesellschaft (Besitzende – Arbeiter, Klassengesellschaft ) sowie das stark ansteigende Bevölkerungswachstum und der Landflucht kam es zu einer überaus starken Massenverarmung großer Teile der Bevölkerung.
Dieser Artikel ist Teil der Artikelreihe Geschichte der Sozialen Arbeit:
- Hilfe-Formen und Merkmale einer archaischen Gesellschaft.
- Hilfe-Formen und Merkmale einer hochkultivierten Gesellschaft.
- Hilfe-Formen und Merkmale einer modernen Gesellschaft.
- Armut, Soziale Sicherung und Almosenwesen im Mittelalter.
- Armenfürsorge während Renaissance und Reformation.
- Armenfürsorge im Absolutismus.
- Soziale Frage und Armenfürsorge während der Industrialisierung
- Elberfelder System und Straßburger System
- Sozialreformen und Fürsorge im Kaiserreich
- Volkswohlfahrt und Krise in der Weimar Republik
- Soziale Arbeit in der Nachkriegszeit
- Soziale Arbeit in den Siebziger Jahren
- Zusammenfassung:Die Entwicklung der Sozialen Arbeit
Die moderne Soziale Frage:
Diese Massenverelendung großer Teile der (meist einfachen) Bevölkerung wird als Soziale Frage bezeichnet. Diese entstand insbesondere dadurch, das alle bisher bekannten Sozialen Sicherungen des alten Systems wie beispielsweise das Zunftwesen oder das Lehnsherren-System aufeinmal durch die Industrialisierung weggefallen waren.
So sind alle Sicherungssysteme plötzlich durch die gesellschaftlichen Veränderungen inkl. der Industrialisierung weggebrochen – ohne das es neue, auf die neue Situation angepasste, Systeme zur sozialen Sicherung gab. Dies führte zu der unglaublichen Verelendung großer Bevölkerungsteile, dessen Lösung als soziale Frage bezeichnet wird.
Die Entstehung der Bürgerlichen Familie
Während der Industrialisierung entstand ebenfalls das „Leitbild“ der bürgerlichen Familie:
Im Gegensatz zu den vorherigen Merkmalen, ging es nun beispielsweise nicht mehr ausschließlich nur um Zweckehen, die dem wirtschaftlichen Überleben dienten, es kam die Idee der Heirat aus Liebe auf. Weiter war nun die Arbeit von dem eigentlich Wohnraum räumlich getrennt.
Kinder- und Jugendfürsorge während der Industrialisierung
Erstmals gab es nun auch Kinderschutzgesetze: So gab es in Preußen erste Gesetze gegen die Kinderarbeit, durch welche Kinder unter 9 Jahren gar nicht mehr arbeiten durften, die mit der Zeit immer weiter ausdifferenziert wurden.
Ein Grund für deren Durchsetzung lag allerdings darin begründet, dass Preußen aufgrund der extrem harten Kinderarbeit einen Mangel an einsatzfähigen Jugendlichen im Wehrdienst hatte.
Kindergärten und Kinderverwahranstalten
Zu dieser Zeit wurde der Grundstein für viele soziale Institutionen gelegt, welche auch heutzutage noch existieren. Neben Kindergärten gab es ebenfalls die ersten Altenheime, Suchthilfen und Irrenanstalten.
Wichtig: Erstmals wurde die Kindheit als Lebensphase „entdeckt“, die gefördert und auch geschützt werden sollte. Zuvor wurden Kinder direkt als „kleine Erwachsene“ mit allen dazugehörigen Pflichten angesehen.
Kinderverwahranstalten hatten dabei hauptsächlich die Funktion, die Kinder zu verwahren, während die Eltern arbeiten mussten. Im Gegensatz dazu gab es allerdings in Kindergärten die ersten Versuche der Bildung und Wissensvermittlung.
In diesem Zusammenhang herausragend und für die damalige Zeit geradezu revolutionär war das Kindergarten-Modell von Friedrich Fröbel:
In diesem wird erstmals angenommen, dass die häusliche Erziehung zuhause grundsätzlich nicht ausreicht und Kinder in kleinen Gemeinschaften gemeinsam durch kindliches Spielen neue Erfahrungen und Erkentnisse gewinnen sollten. Hierbei stand für Fröbel der Garten als Ort des Lernens im Vordergrund: Die Kinder sollten von der Natur lernen.
Das beachtliche an diesem Modell ist, das es für seine Zeit überaus fortschrittlich war: Auch heute findet man sein Konzept noch in fast allen Kindergärten. So gibt es dort ebenfalls Kleingruppen von Kindern, die durch das beaufsichtigte gemeinsame Spielen Erfahrungen sammeln und Kompetenzen bilden.
Heimerziehung & Kinderheime:
Obwohl es ebenfalls einige neue Pflegekindergesetze gab und beispielsweise auch die Strafmündigkeit für Kinder abgeändert wurde, entwickelte sich die öffentliche Jugendfürsorge bzw. Jugendhilfe nur überaus langsam:
Oftmals wurden die Jugendliche immer noch in Gefängnisse oder Zuchthäuser gesteckt, nicht zuletzt auch weil es an alternativen Einrichtungen fehlte.
Die Ausnahme: Das rauhe Haus
Die Stiftung „rauhes Haus“ wurde im Jahr 1833 von Johann Hinrich Wichern gegründet. Es sollte als „Rettungsinsel“ für die verwahrlosten Kinder in der Stadt Hamburg dienen.
Dort wurden Jugendliche aufgenommen, um diese auf ihr zukünftiges gesellschaftliches Leben „in Armut“ vorzubereiten. Sie lebten in Kleingruppen unter der Leitung von ausgebildeten Gemeindemitgliedern und wurden durch ebenfalls „durch Arbeit erzogen“.
Obwohl hier zwar auch der Arbeitsgedanke im Vordergrund stand, erhielten die gefährdeten oder straffälligen Jugendlichen ebenfalls eine handwerkliche Ausbildung, damit sie in der Zukunft zumindest eine Chance auf einen Arbeitsplatz hatten, welcher sie dann von der gröbsten Armut befreien sollte.
Die Armenfürsorge während der Industrialisierung
Obwohl es viele neue, teilweise sogar für die damalige Zeit „revolutionäre“ Ansatzpunkte in der Kinder-und Jugendhilfe sowie in der Armenfürsorge gab, wurde diese überwiegend immer noch durch eine restriktive Staatspolitik bestimmt:
Insbesondere auch, weil es zu dieser Zeit neben den beschriebenen Einzelfällen keine alternative Einrichtungen zu Arbeitshäusern und Zuchthäusern gab. Die überwiegende Massen der von Armut und Elend betroffenen Jugendlichen und Kindern wurden weiter strafrechtlich „behandelt“.
Keine Lösung der Sozialen Frage
Somit wurde auch die aus der neuen Massenarmut geborenen Soziale Frage seitens des Staates bzw. der Gesellschaft noch nicht gelöst. Es gab keine neuen, effektiven Sicherungssysteme obwohl die alten weggebrochen waren und man wusste sich letztendlich nicht anders zu helfen, als den Betroffenen Strafen aufzuerlegen oder diese in Zuchthäuser „wegzusperren“.
Nichtsdestotrotz entstanden zu dieser Zeit die ersten fortschrittlichen Reformansätze und Modelle, welche teilweise auch heute noch fester Bestandteil der Kinder-und Jugendfürsorge sind.
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